Wachstumsmotor Kreislaufwirtschaft
Regierungsbildung, Wirtschaftsflaute, Sparpakete – ökonomisch gesehen hat Österreich einen heißen Herbst erlebt. Die gute Nachricht: Die heimischen Unternehmen legen vor und beweisen, dass Kreislaufwirtschaft ein erfolgversprechender Weg ist, um die Wertschöpfung anzukurbeln.
Schwierige Koalitionsverhandlungen, prolongierte Rezession und drohende Sparpakete – ökonomisch gesehen hat Österreich einen heißen Herbst erlebt. Auf die nächste Bundesregierung warten gewaltige Herausforderungen, um wieder Fahrt zu gewinnen. Die gute Nachricht: Die heimischen Unternehmen legen vor und beweisen, dass Kreislaufwirtschaft ein erfolgversprechender Weg ist, um die Wertschöpfung anzukurbeln. Insgesamt 35 Milliarden Euro könnten das bis 2030 sein. Dafür müssen nun rasch entsprechende Weichen in Gesetzgebung und Verwaltung gestellt werden – klare Spielregeln und weniger Bürokratie sind das Gebot der Stunde.
Anwendungsbeispiele quer über alle Sektoren
Der heimische Faserhersteller Lenzing etwa entwickelt zusammen mit Partner:innen zirkuläre Lösungen und verwendet recycelte Rohstoffe, um Abfall in allen Prozessen zu vermeiden – unter anderem auf Basis einer eigens entwickelten Technologie für Textilrecycling. Lenzing beteiligt sich am EU-finanzierten Projekt OnceMore, das die Entwicklung von Textilrecycling auf industrialisierter Ebene zum Ziel hat. Bei den Montanwerken Brixlegg wiederum gewinnt man durch intelligentes Upcycling aus kupferhaltigen Sekundärrohstoffen hochreine Kupferprodukte.
Der Wiederverwendung und hochwertigen stofflichen Verwertung von Bauteilen oder Baumaterialien hat sich das Unternehmen BauKarussel verschrieben. Es setzt sein Konzept des Social Urban Mining für die Wiederverwendung und Qualitätssicherung von Baukomponenten mit sozialem Mehrwert ein. Bei Rückbauprojekten wie etwa der Hensel-Kaserne in Villach erzielt man damit eine Wiederverwendungsrate von 60%
Auch Klärschlamm, früher ein problematisches Endprodukt, lässt sich dank neuartiger Technologie aus Oberösterreich mittlerweile vollständig zu werthaltigen Produkten aufbereiten. Das neuartige RSR-Verfahren („Recovered Sludge Resources“) der Green Sentinel zeichnet sich – weltweit einzigartig – dadurch aus, dass sowohl gereinigter, CO2-neutraler Biobrennstoff aus dem organischen Anteil des Schlamms als auch enthaltene Wertstoffe wie z. B. Phosphor für qualitativ hochwertige Düngemittel rückgewonnen werden.
International geht es ebenso rasant voran
Das US-Unternehmen Apeel Sciences etwa hat eine essbare, pflanzliche Beschichtung für Obst und Gemüse entwickelt. Das verlangsamt den Alterungsprozess und verlängert die Haltbarkeit um das Zwei- bis Dreifache. Für 2023 konnten über 60 Millionen Obststücke vor Verschwendung gerettet und auf diesem Weg über neun Millionen Kilogramm CO2-Äquivalent und 2,7 Mrd. Liter Wasser reduziert werden. Mercedes wiederum hat erst vor kurzem westlich von Stuttgart die erste Batterierecyclingfabrik Europas eröffnet – und schließt als erster Automobilhersteller weltweit den PKW-Batteriekreislauf mit einer eigenen Anlage
„Investitionen in Nachhaltigkeit sind nicht nur für Österreich, sondern für ganz Europa der entscheidende Faktor für Wirtschaft und Wohlstand“, macht ARA Vorstand Harald Hauke klar. Peter Windischhofer, Gründer von Refurbed, einer Plattform für erneuerte und qualitativ hochwertige Produkte, stößt ins selbe Horn: „Die Computerchips und die Innovationsfähigkeit der USA und Chinas werden wir nicht kopieren können. Aber wenn wir bei der Nachhaltigkeit führend sind und da auch Technologien entwickeln, die zukunftsweisend sind, haben wir eine Chance, ein weiterhin relevanter wirtschaftlicher Player auf globaler Ebene zu bleiben.“
Die Kreislaufwirtschaft ist gekommen, um zu bleiben.
Harald Hauke
Forderungen an die Regierung
Um Kreislaufwirtschaft dauerhaft und nachhaltig zu verankern, braucht es allerdings rasche Maßnahmen. Schließlich schlummert in Österreich laut einer aktuellen PwC-Studie ein Potenzial von insgesamt 35 Milliarden Euro Bruttowertschöpfung bis 2030. Derzeit beträgt sie bereits mehr als vier Milliarden Euro jährlich, generiert von 13.000 Unternehmen und insgesamt rund 48.600 Beschäftigten – das ist eine Milliarde Euro mehr als beispielsweise jene der Stahlindustrie. Um diese Chancen möglichst rasch zu nutzen, haben sich heimische Leitbetriebe unter der Federführung der ARA zum „Senat der Kreislaufwirtschaft“ konstituiert. Dieser richtet ein konkretes Forderungspaket an die nächste Bundesregierung: u. a. eine umfassende Kunststoff-Strategie, die Einrichtung einer starken und permanenten interministeriellen Koordination, die Schaffung eines „Schengenraums“ für Abfallwirtschaft sowie die zukünftige, von der EU geforderte Textilsammlung im Rahmen einer erweiterten Herstellerverantwortung zu organisieren.
Schließlich stehen ab 2025 zusätzliche Herausforderungen für die Unternehmen an: Die „Packaging and Packaging Waste Regulation“ (PPWR) tritt schrittweise in Kraft und schreibt vor, dass bis 2030 alle Verpackungen in der EU recycelbar sein müssen. Das Einwegpfand startet in Österreich – mit millionenschweren Investitionen von Handel und Produktionsbetrieben. Ab kommendem Jahr ist auch die gemeinsame Sammlung von Kunststoff- und Metallverpackungen österreichweit verpflichtend. Und Textilien wie Bekleidung, aber auch Leintücher, Vorhänge oder Bettwäsche müssen getrennt erfasst werden. Bis 2030 sollen alle Textilprodukte, die in der EU auf den Markt kommen, langlebig, reparierbar und recycelbar sein.
„Da braucht unsere Wirtschaft politische Unterstützung – und eine deutliche Erhöhung der Recycling-Rohstoffe“, meint Harald Hauke. „Mit einer Zirkularitätsrate von 12,8% liegen wir zwar über dem EU-Durchschnitt, doch es besteht noch erheblicher Handlungsbedarf, um das heimische Ziel von 18% bis 2030 zu erreichen. Der Bedarf der Industrie an Recycling-Rohstoffen wächst damit in den kommenden fünf Jahren enorm.“ In Österreich kommen nur etwa 24 Millionen Tonnen oder 9,5% des gesamten verarbeiteten Materials aus Recycling. Diese Menge muss bis 2030 deutlich anwachsen. „Damit sorgen wir für Rohstoffsicherheit und verlagern immer mehr Wertschöpfung nach Österreich“, bekräftigt ARA Vorstand Thomas Eck.
Damit sorgen wir für Rohstoffsicherheit und verlagern immer mehr Wertschöpfung nach Österreich.
Thomas Eck
Weniger Regulierung – mehr Unterstützung
Wir wollen kein Geld von der Politik, sondern Planungssicherheit. Das heißt: Klare Spielregeln für die Kreislaufwirtschaft, an die sich alle halten müssen, vor allem im Zusammenhang mit der aktiven Einführung einer Ökomodulation, also von Kostenvorteilen von gut recycelbaren Verpackungen bei der Entpflichtung. Dann wird sich die gesamte Wirtschaft umstellen und der Markt funktionieren. Wir gehen hier eindeutig in Vorleistung“, bringt es Alfred Berger, Senator und Vorstand der NÖM AG, auf den Punkt. In seinem Unternehmen sind geschlossene Kreisläufe – etwa bei Reinigung oder Abwärmenutzung – sowie Re-Use, e-Mobilität und forcierter Rezyklateinsatz längst Realität.
Unterstützung kommt auch von Robert Nagele, Senator und Vorstand bei BILLA. „Wir brauchen nicht mehr, sondern weniger Regulierung. Konkret: die Abschaffung der aufwändigen und langwierigen Notifizierungsverfahren sowie der Begleitdokumente bei der grenzüberschreitenden Abfallverbringung. Im Gegensatz zu Primärrohstoffen, die aufgrund der EU-Warenverkehrsfreiheit von solchen Auflagen befreit sind, stellt dies derzeit eine erhebliche Handelsbarriere dar. Durch deren Beseitigung lassen sich Effizienz und Wettbewerbsfähigkeit des Recyclings in der EU deutlich steigern“, befürwortet Nagele einen „Kreislaufwirtschafts-Schengenraum“. Und gerade bei der PPWR, laut der alle Verpackungen in der EU bis 2030 recycelbar sein müssen, „brauchen wir die Unterstützung der Politik, um das als Branche auch zeitgerecht vorbereiten und umsetzen zu können.“ Nagele treibt den Rezyklateinsatz bei BILLA kontinuierlich voran und verantwortet zahlreiche Kreislaufwirtschaftsprojekte, etwa „Reversio“, die erste zentrale Sammlung von Backwarenabfällen zur Weiterverarbeitung als Pferdefutter, oder Sammlung und Recycling aller Kaffeekapselmarken.
„Wir sehen, dass die Ziele von Recycling und Rezyklateinsatz oft zu weit auseinander liegen. Diese Lücke gilt es zu schließen. Hier besitzt die Politik – etwa über die öffentliche Beschaffung auf Bundes- und Landesebene – als großer Player im Einkauf einen enormen Hebel, um zukünftig Sekundärrohstoffe zu bevorzugen. Darüber hinaus kann chemisches Recycling als Ergänzung zum mechanischen dazu beitragen, die Restabfallströme weiter zu minimieren. Die Wirtschaft ist der zentrale Akteur, der die Kreislaufwirtschaft vorantreibt. Diese muss messbar und marktfähig werden. Sie gehört stärker in politische sowie gesellschaftliche Bewusstseinsbildung integriert. Das ist eine wesentliche politische Aufgabe für die nächsten Jahre“, sind die ARA-Vorstände Harald Hauke und Thomas Eck überzeugt.